Kontext
Was die Energiewende kostet
Wir brauchen Beinfreiheit, um lokal zu gestalten
Wie das Jahrhundertprojekt Energiewende auf die Straße bringen? Zu den wichtigsten Playern gehören Kommunen und Stadtwerke. Anne Rethmann, Finanzvorständin der Thüga, und Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, sprechen über Finanzierung, Gestaltungsfreiheit vor Ort und Akzeptanz. Das Gespräch moderierte Dr. Detlef Hug, Leiter Thüga-Öffentlichkeitsarbeit.
Detlef Hug: Ende März hat der Bundestag die Grundgesetzänderung über ein Sondervermögen von 500 Mrd. Euro beschlossen, davon sollen 100 Mrd. Euro an die Länder und Kommunen gehen. Reicht das für die Finanzierung von Infrastruktur- und Energiewendemaßnahmen aus?
Helmut Dedy: Das Sondervermögen für Länder und Kommunen ist zuerst eine große Chance und eine gewaltige Summe. Damit können wir endlich den Investitionsstau bei der kommunalen Infrastruktur von rund 190 Milliarden anpacken – in dieser Summe sind übrigens die Kosten für Energiewendemaßnahmen gar nicht explizit enthalten. Denn es geht um die Lebensqualität vor Ort: Kann die Straße saniert werden, kann das Dach der Schule erneuert werden? Das hat schließlich auch Einfluss darauf, wie Menschen auf das Gelingen der Gesellschaft oder des Staates blicken. Oberste Priorität ist, dass die Mittel möglichst schnell, unkompliziert und bürokratiearm vor Ort ankommen. Je einfacher das Verfahren ist, desto schneller haben wir das Geld auf der Straße und die Menschen merken, dass etwas passiert.
Anne Rethmann: Es ist gut, dass die Bundesregierung mit dem Sondervermögen die Finanzierung der Infrastrukturen in den Blick nimmt. Der Finanzierungsbedarf geht allerdings weit darüber hinaus, daher braucht es weiterhin marktwirtschaftliche und finanziell attraktive Rahmenbedingungen.
Vor welchem Finanzierungsbedarf für die Energiewende stehen die Stadtwerke – welche Zahlen stehen für die Thüga-Gruppe im Raum, Frau Rethmann?
Anne Rethmann: Für alle Partnerunternehmen der Thüga-Gruppe sind nach unserer Einschätzung in Summe 70 bis 90 Milliarden Euro an Investitionen in die Energiewirtschaft bis 2045 erforderlich. Davon ungefähr die Hälfte für die Wärmewende – hier sind die richtig großen Investitionen gefragt. Und bei der Wärmewende hat jede Kommune, jedes Stadtwerk seine spezifischen Herausforderungen.
Anne Rethmann, Finanzvorständin der Thüga, und Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, sprechen über Finanzierung, Gestaltungsfreiheit vor Ort und Akzeptanz.
Die Kommunen sind im Rahmen des steuerlichen Querverbunds auch auf die Einnahmen der Stadtwerke angewiesen. Diese benötigen selbst sehr viel Geld für die Energiewende. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?
Anne Rethmann: Ich denke, für beide Seiten ist es wichtig, eine einheitliche Linie bei den Ausschüttungen zu haben – damit Planungssicherheit auch für die Kommunen gegeben ist. Denn diese brauchen die Ausschüttungen der Stadtwerke. Überplanmäßige Gewinne müssen Stadtwerke aber auch nutzen können, um für sich Eigenkapital aufzubauen. Das ermöglicht ihnen dann auch die klassische Fremdfinanzierung.
Welche Möglichkeiten der Fremdfinanzierung gibt es?
Anne Rethmann: Viele Stadtwerke finanzieren sich über bilaterale Bankdarlehen, machen sich jetzt aber auf den Weg, weitere Fremdkapital-Möglichkeiten wie Schuldscheindarlehen auszuloten. Auch die Finanzierung einzelner Assets, also Erzeugungseinheiten, über Projektgesellschaften ist ein Thema. Dabei reden wir auch über Langfristigkeit: Investoren, die zehn Prozent Rendite erwarten und nach fünf Jahren wieder aussteigen wollen, passen nicht zu unseren Finanzierungsobjekten. Insgesamt müssen wir die Bandbreite der Finanzierungsmöglichkeiten ausschöpfen.
Welche Rolle hat die Thüga dabei?
Anne Rethmann: Aufgabe der Thüga ist es, die Wirtschaftlichkeit der Investitionen sicherzustellen und die Partnerunternehmen bei der Finanzierung zu unterstützen. Finanzierungsmaßnahmen müssen immer zum Stadtwerk und zur Kommune passen. Darüber hinaus setzt sich Thüga dafür ein, den Vorteil regionaler Synergien zu nutzen. Wo es sinnvoll ist, treiben wir leistungsfähige Kooperationsmodelle mit unseren Partnerunternehmen voran. Das ist ein wichtiger Ansatz, den wir verstärkt verfolgen.
Wie ist die Sicht der Kommunen auf die Finanzierung, Herr Dedy?
Helmut Dedy: Dass die Energiewende rein öffentlich finanzierbar ist, halte ich für ausgeschlossen. Die Kommunen können bestimmte Investitionen nicht mehr wie früher aus den Erträgen der Stadtwerke finanzieren. Wir brauchen privates Kapital. Das heißt, wir müssen für private Kapitalgeber wirtschaftlich attraktiv sein. Aber ist gewünscht, dass private Anteilseigner in Stadtwerken mitentscheiden? Wir haben das kürzlich mit einem Kreis von Städten mit über 100.000 Einwohnern besprochen – die waren zurückhaltend. Bei Projektgesellschaften ist das anders. Aber wir sind generell noch am Anfang der Debatte, auch bei dem von BDEW und VKU vorgeschlagenen Energiewendefonds.
Wie wichtig ist soziale Gerechtigkeit bei der Umsetzung der Energiewende?
Helmut Dedy: Wir sprechen uns ausdrücklich für ein Klimageld aus, das sich an sozialen Kriterien ausrichtet. Es geht darum, dass die Menschen je nach Einkommen unterschiedlich zur Umsetzung von Energie- und Wärmewende als auch der Verkehrswende beitragen. Wir werden die Menschen nur mitnehmen, wenn die großen Veränderungen auf Akzeptanz stoßen. Und das hat nun mal auch eine finanzielle Seite. Das ist eine Aufgabe der neuen Bundesregierung.
Anne Rethmann: Dem stimme ich voll zu. Wir sprechen ja nicht nur von Akzeptanz. Manchen Menschen tut es finanziell wirklich weh, zusätzliche Energiekosten zu tragen. Der Staat muss die soziale Gerechtigkeit im Auge haben und die richtigen Prioritäten setzen.
Viele Kommunen sind gerade bei der Kommunalen Wärmeplanung. Herr Dedy, wie ist der Stand der Dinge?
Helmut Dedy: Wir sind bei der Wärmeplanung auf einem ganz guten Weg – die Umsetzung wird eine enorme Herausforderung. Fernwärme auszubauen funktioniert gut in einer Stadt, die schon 50 Prozent hat und auf 70 Prozent gehen will. Das ist etwas völlig anderes als in einer Stadt, die bisher weitgehend mit Erdgas versorgt wurde. Da stellt sich die Frage: Rentiert sich das und ab wann? Daraus resultieren auch wieder Finanzierungsanforderungen. Wir müssen das sorgfältig und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar planen und deutlich machen, dass es am Ende für sie besser wird. Wir graben die Städte um, der Alltag der Menschen ist oft längere Zeit durch Baustellen beeinträchtigt. Hinterher schütten wir die Straßen wieder zu – und die Menschen stellen dann fest, dass es weiterhin ‚nur‘ warm ist? Es geht darum, dass die Straße oder das Quartier auch lebenswerter werden. Ich spreche über mehr Grün und hier und da einen Radweg mehr. Da ist buchstäblich noch richtig viel Dampf drin.
Frau Rethmann, wie sehen Sie das Thema Wärmewende aus Finanzierungssicht?
Anne Rethmann: Bei der Erweiterung des Fernwärme-Netzes sind die Aufwände andere als beim Bau eines komplett neuen Wärmenetzes. Das ist wirtschaftlich viel schwerer darstellbar. Die Finanzierung läuft über einen sehr langen Zeitraum, das Stadtwerk bekommt aber lange keine Rückflüsse und die Höhe der Rückflüsse hängt von der Anzahl der Anschlüsse an das Wärmenetz ab. Ohne gewisse Renditeanforderungen wird die Finanzierung dieser Umstellung nicht klappen.
Was brauchen die Stadtwerke?
Anne Rethmann: Die Unternehmen der Thüga-Gruppe blicken mit einer gewissen Skepsis auf die Rahmenbedingungen. Wird zum Beispiel Fernwärme reguliert werden? Wie genau wird die BEW geregelt, in welchem Umfang aufgestockt? Die Stadtwerke brauchen verlässliche Rahmenbedingungen und finanziell attraktive Investitionsbedingungen.
Herr Dedy, welche Kernforderungen ergeben sich daraus für Sie an die neue Bundesregierung?
Helmut Dedy: Wir brauchen Planungssicherheit, polarisierte Debatten bringen uns nicht weiter. Ich wünsche mir mehr Konsens bei den grundlegenden Zielsetzungen. Und wir Kommunen haben einen dramatischen finanziellen Engpass. Alle Kommunen in der Bundesrepublik zusammengenommen schlossen 2024 mit einem Rekord-Defizit von rund 25 Milliarden Euro ab. Wir brauchen eine andere Finanzausstattung, um den Investitionsstau abbauen zu können. Außerdem: Wir möchten vor Ort gestalten können. Wir nennen das Beinfreiheit. Sie sagen vielleicht Bürokratieabbau dazu. Letztlich ist das eine Frage, wenn man pathetisch werden will, von Vertrauen in lokale Demokratie. Dieses Vertrauen ist auf Bundes- und Länderebene ausbaufähig.
Frau Rethmann, können Sie sich dem anschließen?
Anne Rethmann: Ja. Die Herausforderungen sind zwar überall ähnlich, aber die Umsetzung ist je nach Kommune grundverschieden. Die Kommunen und die Stadtwerke haben ein großes Wissen vor Ort, das lässt sich nicht deutschlandweit denken. Stichwort Bürokratieabbau: Wir müssen zum Beispiel bei der Nachhaltigkeit auf dem richtigen Weg bleiben, aber dabei darf die Berichtspflicht nicht überborden. Es gilt, dabei den wirtschaftlichen Aspekt im Auge zu behalten. Und wir brauchen für langfristige Investitionen dauerhafte Klarheit, zum Beispiel bei der Kraft-Wärme-Kopplung. Auch das Kraftwerkssicherheitsgesetz treibt uns um.
Noch ein Wort zum Schluss?
Anne Rethmann: Wir müssen an vielen Stellen pragmatisch loslegen. Die Dinge tun, die richtig sind. Anpacken. Wenn wir am Ende des Tages nicht 100 Prozent erreichen, sondern die berühmten 80 Prozent, haben wir viel geschafft, über das wir uns freuen können.
Helmut Dedy: Ich möchte betonen, dass wir in Bezug auf neue Kapitalgeber offen sind. Wichtig ist uns aber, dass die Stadtwerke in kommunaler Hand bleiben. Ein Ausverkauf wäre für uns nicht akzeptabel. Ich glaube, das wäre für die Menschen in den Städten auch kein gutes Ergebnis.
Gemeinsam für die Regionen!
Den Deutschen Städtetag und die Thüga verbindet eine gemeinsame Motivation – Mehrwert schaffen durch Zusammenarbeit und Austausch, Interessenvertretung der Mitglieder auf dem deutschen und europäischen Parkett. Der Städtetag hat die Interessen der Kommunen im Fokus, die Thüga die der städtischen und regionalen Energieversorger, an denen die Kommunen meist mehrheitlich beteiligt sind. Die Herausforderungen überschneiden sich, vor allem bei der Finanzierung der Energie- und Wärmewende.